11 Mar 2016

Der versteckte Hafen

Tonnie Huijzendveld (Arnoldus)
Geoarchäologin

Die beiden Wellenbrecher
In seinen Commentarii (1614)1 schreibt Papst Pius II: “Kaiser Claudius baute einen links und rechts von Molen geschützten Hafen mit einer Einfahrt in deren Mitte, im tieferen Gewässer.”
Das von Claudius errichtete Hafenbecken liegt circa zwei Kilometer nördlich von Ostia, in der Nähe der antiken Stadt Portus.  

Abb. 1 – Ausdehnung des Hafenbeckens von Claudius,
in schwarz der freigelegte Teil, in rot der „versteckte“
Teil; die gepunktete Linie zeigt die römische Küste.
Abb. 2 – Kaiser Neros Münze
mit der Abbildung des
Hafens von Claudius; in der
Abb. oben das Meer, Norden
ist auf der rechten Seite. 2
Der Bau wurde im Jahr 42 n. Chr. begonnen und 64 von Kaiser Nero abgeschlossen. Anlässlich der Einweihung ließ Nero eine Reihe von Bronzemünzen mit Abbildungen des Hafens auf der Rückseite herstellen. Der Hafen ist hier sehr detailliert dargestellt, mit auf See treibenden Handelsschiffen, den Kurven der beiden Wellenbrecher und der Einfahrt in der Mitte mit Leuchtturm und Statue.
Teile des südlichen Wellenbrechers sind erhalten, befinden sich allerdings unter der Uferböschung des Tibers. Der landseitige Teil der nördlichen Mole dagegen liegt über eine Länge von ca. 750 m. frei und ist entlang der Via dell’Aeroporto di Fiumicino und hinter dem Römischen Schiffsmuseum in Fiumicino gut zu sehen. Dieser Abschnitt wurde während des Baus des neuen Flughafens von Rom in den 1960er Jahren ausgegraben. Weiter westlich sind auf Oberflächenniveau keine Spuren des Wellenbrechers zu sehen und auch im Auftrag der Archäologischen Oberintendantur Ostias durchgeführte Grabungen bis zu einer Tiefe von mehreren Metern brachten keine Reste dieser Mole ans Licht.  
Abb. 3 – Teil der freigelegten nördliche Mole des Hafens
von Claudius hinter dem Römischen Schiffsmuseum in
Fiumicino; Foto: Gerard Huissen.

Das Verschwinden dieses Wellenbrechers ist durch das starke Wachstum des Dünenstreifens in historischen Zeiten, insbesondere in den letzten Jahrhunderten bedingt. Die Molen des Hafens von Kaiser Claudius wurden von sandigen Sedimenten bedeckt (siehe auch den Beitrag zur Entwicklung der Küstenlinie von Ostia), und die wirkliche Größe und Ausrichtung des Beckens sind für Jahrhunderte in Vergessenheit geraten.

Vergessene Konturen
Verschaffen wir uns einen kurzen Überblick über die Darstellungen des Hafenbeckens im Lauf der Jahrhunderte. In Abbildungen des 16. und 17. Jahrhunderts werden die Breite des Beckens, die gebogenen Wellenbrecher im Norden und Süden und die nach Westen ausgerichtete Einfahrt mit der Leuchtturminsel immer richtig dargestellt. 
Abb. 4 – Rekonstruktion der Hafenbecken von Claudius und Trajan, Antonio Labacco 1552-67, Tafel. 29. Die Entfernungen sind in “Canne Romane” angegeben (1 Canna = ca. 2,234 m). Die Ost-West-Achse ist gespiegelt.
Doch ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen die Darstellungen des Hafens plötzlich ein viel kleineres Becken, die Mittelachse um 90 Grad gedreht, die Hafeneinfahrt im Norden, der Leuchtturm auf der linken Seite der Einfahrt.
Diese falschen Rekonstruktionen haben ihren Weg auch in jüngere Publikationen gefunden. 
Abb. 5 – Eine falsche Rekonstruktion des Hafenbeckens von
Claudius, mit geringerer Größe und der Haupteinfahrt im
Norden3

Ursache der Fehlinterpretationen ist mit ziemlicher Sicherheit die Menge an Ablagerungen, die die Anlage während des Fortschreitens der Küste in den letzten Jahrhunderten überdeckt haben.
Vom 19. bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die falschen Rekonstruktionen noch allgemein als richtig anerkannt.
In den 1960er Jahren dann wurden sie, insbesondere von Castagnoli und Giuliani4 in Frage gestellt. Unter anderem Aufnahmen aus der Luft führten zur früheren Hypothese eines breiten, von Osten nach Westen ausgerichteten Beckens zurück. Die Größe des Hafens wurde, wie man später feststellte, allerdings immer noch unterschätzt.

Rückkehr zu früheren Vorstellungen
Erst in den letzten zehn Jahren hat eine Reihe von tiefen Bohrungen (Abb. 6) zweifelsfrei bestätigt, dass das Becken tatsächlich von Osten nach Westen ausgerichtet ist und dass es weiter ins Meer hinausragte, als vorher vermutet: Der Abstand zwischen dem Festland (Monte Giulio) und der Leuchtturminsel beträgt etwa 2 km.
Abb. 8 – Rekonstruktion der Umrisse der Molen und der
Leuchtturminsel mit den beiden Einfahrten basierend auf den
Bohrdaten der zwischen 2004 und 2007 angestellten
Bohrungen.
Von Dünen und marinen Sedimenten bedeckte Reste der Anlage wurden bei den zwischen 2004 und 2007 durchgeführten Bohrungen erst ab einer Tiefe von einigen Metern gefunden (Abb. 7). Die begrabenen Überreste der Leuchtturminsel und Teile der beiden Pfeiler befinden sich im Westen der Viale Coccia di Morto in Fiumicino. Das Ende des südlichen Wellenbrechers befindet sich unter dem Leonardo Da Vinci Rome Airport Hotel (eine ehemalige Glasfabrik) in der Via Portuense, die Leuchtturminsel unter dem Schrottplatz im Norden der Via della Foce Micina gegenüber der Via dei Capitoni.
Die moderne Rekonstruktion zeigt zwei vorstehende Molen und die Leuchtturminsel, getrennt durch offensichtliche Einfahrten5. Eine dritte, schmalere Einfahrt (wahrscheinlich nur ein Kanal) wurde zwischen dem nördlichen Pier und Monte Giulio  entdeckt 6. Interessant ist die Tatsache, dass die von Antonio Labacco7 auf einer Karte aus dem 16. Jahrhundert angegebenen Entfernungen sich als annähernd korrekt erwiesen (siehe Abb. 4). 
Abb. 9 - In rot die Umrisslinie des Hafens von Claudius über ein digital gestrecktes Bild eines Freskos von A. Danti aus dem Jahr 1582 (Vatikanische Museen) gelegt.
Die gesammelten Daten wurden über ein (digital gestrecktes) Bild eines Freskos von A. Danti aus dem Jahr 1582 gelegt, wobei nicht nur die Verlässlichkeit des Freskos bewiesen wurde, sondern auch, dass Reste der Leuchtturminsel und der Enden der Wellenbrecher seinerzeit noch sichtbar waren, bevor sie durch die Sedimente der vorrückenden Küste überdeckt wurden.
Abb. 10 – Eine der mehr als 20 Darstellungen des Leuchtturms
in Ostia und Portus (Mosaik des Piazzale delle Corporazioni,
Statio 46, in Ostia antica)8
Zeitgenössische Autoren bestätigen, dass die Ruinen des Leuchtturms  im Meer sichtbar waren. Giuliani erwähnt Biondo Flavio, der im Jahre 1558 schreibt: "Wir sehen noch einen guten Teil dieses Turms, obwohl von dem Marmor, mit dem er verkleidet war, nicht viel übrig geblieben ist" 9.
Pius II ist es dann, der uns die nützlichsten Hinweise liefert; im Jahr 1614 schreibt er: "Es gibt immer noch Spuren dieses Turms, die von weit draußen auf dem Meer zu sehen sind. Alles andere ist vollständig untergegangen."10

Zwei unterschiedliche Abschnitte
In den Bohrkernen der entlang der äußeren Abschnitte der beiden Molen durchgeführten Bohrungen wurde kein Wassermörtel gefunden, sondern lediglich in grobem Sand gebettete, große Basalt- und Tuffsteinblöcke, die einen rippenartigen Trümmerhügel mit einer Basisbreite von mindestens 60 Metern bilden.
Abb. 11 – Die beim Bau der Molen und der Leuchtturminsel
am häufigsten verwendeten Steintypen: Basalt und roter
Tuffstein, der durch das Meerwasser schwarz geworden ist.

Dies deutet darauf hin, dass die Molen durch das Aufstapeln von Steinen auf dem Meeresboden gebaut wurden, was mit der Beschreibung des Baus des Hafens von Civitavecchia von Plinius dem Jüngeren11 übereinstimmt. Er schreibt: "Der linke Arm dieses Hafens wird durch ein außerordentlich starkes Werk geschützt, während der rechte noch vor der Fertigstellung steht. Eine künstliche Insel, die an der Hafeneinfahrt aufragt, bricht die Kraft der Wellen und bietet so den Schiffen sichere Durchfahrt zu beiden Seiten. Diese Insel entsteht durch ein sehenswertes Verfahren: Steine enormer Größe werden von großen Pontons dorthin transportiert und übereinander gestapelt; durch ihr Eigengewicht befestigt entsteht nach und nach ein natürlicher Hügel. Der felsige Rücken ragt schon aus dem Meer; die aufschlagenden Wellen werden gebrochen, spritzen mit ungeheurem Lärm hoch auf in immense Höhen und die tosende Gischt erhellt das ganze umliegende Meer."

In den am weitesten westlich durchgeführten Bohrungen wurde die Basis der nördlichen Mole in einer Tiefe von 15 bis 16 Metern unter der Oberfläche gefunden. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass das Niveau des Meeresbodens direkt unter der Anlage bis zu 2 Meter tiefer liegt, als die Umgebung.
Wir können davon ausgehen, dass dies auf das Gewicht der Steine zurückzuführen ist, die im weichen Meeresboden absinken, ein Prozess, der bereits in der frühen Bauphase begonnen haben mag.
Aber das ist noch nicht alles: De Graauw12 zeigt, wie bei heutigen, lose aufgeschichteten Wellenbrechern durch Einwirkung der Wellen die Spitze absinkt, während die Basis breiter wird und der ursprünglich aus dem Wasser herausragende Wellenbrecher zu einem unter der Wasseroberfläche liegenden wird. Dies passiert in der Regel in einer späteren Phase. Das allmähliche Einsinken der Basis und gleichzeitige Absinken der Spitze der Steinanhäufungen, zusammen mit den durch die Veränderungen der Küste abgelagerten sandigen Sedimenten, erklärt, warum die Spitzen der von den Molen verbliebenen Reste heute mehrere Meter unter der Wasseroberfläche zu finden sind. Dazu kommt, dass die vorrückende Küste den Molen immer näher kam und Steine möglicherweise für die Verwendung an anderer Stelle fortgeschafft wurden, als sie entdeckt wurde.  

Abb. 12 – Das westliche Ende des freiliegenden Teils der
nördlichen Mole von Osten gesehen.16
Wie oben erwähnt ist der landseitige Teil der nördlichen Mole gut erhalten. Testaguzza liefert eine präzise Beschreibung der Anlage. Sie besteht demnach aus mehreren Abschnitten, die mit unterschiedlichen Bautechniken aus ganzen quadratischen Blöcken und Mischschichten aus Beton, Tuffstein, Ziegelbruchstücken und Mörtel hergestellt wurden. Es hat sich herausgestellt, dass das westliche Ende dieser Konstruktion in der Römerzeit in einer Tiefe von etwa 7,5 Metern auf dem Meeresboden ruhte13.
Der innere Abschnitt wurde nach Angaben Vitruvius wahrscheinlich mit Holzschalungen, die mit Wassermörtel und Steinen gefüllt wurden errichtet, die möglicherweise auf einen Schutthügel aufgesetzt wurden. Der Bau erfolgte wahrscheinlich vom Festland aus, wobei Lastkarren benutzt wurden, die sich über die Spitze der Mole Richtung Meer bewegten 15.
Abb. 13 – Mit Holzbalken verstärkter Beton, eine möglicherweise
für den freiliegenden Teil des nördlichen Wellenbrechers
eingesetzte Bautechnik; 14


Jüngste im Auftrag der Archäologischen Oberintendantur Ostias durchgeführten Bohrungen im Flughafen von Fiumicino bestätigen die Ausrichtung und die Breite der Basis des "versteckten" Teils des nördlichen Wellenbrechers, so, wie von Morelli und Kollegen angenommen. Unsere aktuelle Hypothese erklärt den Unterschied in der Erhaltung der beiden Abschnitte der nördlichen Mole des Hafens von Claudius durch die unterschiedlichen Bautechniken: Während der innere Teil der Mole mittels mit Wassermörtel und Steinen gefüllten Senkkästen gebaut wurde, besteht der seewärtige Teil lediglich aus lose übereinander gestapelten Steinen. Der abrupte Übergang zwischen den beiden Strecken nach weniger als 50 Metern ist eines der Argumente dafür. Aber es nicht alles aufgeklärt. Warum z.B. haben wir bis heute keinerlei Spuren von den auf den Münzen abgebildeten Bögen entlang der nördlichen Mole gefunden?
Dieses Thema wird in einem nachfolgenden Beitrag behandelt.  



Abb. 6 - Tiefbohrung über den Resten der Mole (2005).
Abb. 7 – Bohrdaten bis 2007 und ihre Interpretation über ein
Fotomosaik aus dem Jahr 1911 gelegt; die roten Quadrate bezeichnen
bei den Bohrungen gefundene Reste, die Straße von Süden nach
Norden ist die aktuelle Viale Coccia di Morto.























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  • Notes:
  • 1 Originaltext: http://www.ostia-antica.org/anctexts.htm, Pius II, Spätere Texte
  • 2 http://www.ancientportsantiques.com/a-few-ports/portus/#5. Quelle: Oleson, 2014 (British Museum)
  • 3 Testaguzza O., 1970 - Portus, Illustration der Häfen von Claudius und Trajan und der Stadt Portus in Fiumicino; Julia Editrice, Rom.
  • 4 Giuliani C.F., 1996 - Note sulla topografia di Portus; in: Manucci V. (Hrsg.), 1996, Il Parco Archeologico Naturalistico del Porto di Traiano; Ministero per i Beni Culturali Ambientali, Archäologische Oberintendantur von Ostia, S. 29-44.
  • 5 Morelli C., Marinucci A, Arnoldus-Huyzendveld A., 2011 - Il Porto di Claudio: nuove scoperte, in Portus and its Hinterland, jüngste archäologische Untersuchungen, Simon Keay & Lidia Paroli (Hrsg.), Archaeological Monographs of the British School at Rome, S. 47-65.
  • 6 Goiran J.-Ph., Salomon F., Tronchere H., Carbonel P., Djerb H., Ognard C., 2011 - Caractéristiques sédimentaires du bassin portuaire de Claude: nouvelles données pour la localisation des ouvertures, in Keay S., Paroli L. (Hrsg.), Portus and its Hinterland, Archaeological Monographs of the British School at Rome: 31-45.
  • 7 Labacco A. (1552-67) - Libro appartenente a l'architettura nel quale si figurano alcune notabili antiquità di Roma. Roma, Antonio dall’Abacco.
  • 8 www.ostia-antica.org.
  • 9 “di questa torre ne veggiamo insino ad hoggi una buona parte in pie, se non che ne sono stati tolti i marmi, dei quali ella era incrustata”
  • 10 “ancora rimangono vestigi della torre le quali si vedono là nel mare; tutti gli altri monumenti sono periti interamente”
  • 11 Briefe LXXI; Übersetzung: https://www.gutenberg.org/files/2811/2811-h/2811-h.htm#link2H_4_0071.
  • 12 De Graauw A., http://www.ancientportsantiques.com/ancient-port-structures/failure-of-rubble-mound-breakwaters-in-the-long-term/
  • 13 Goiran Jean-Philippe, Hervé Tronchère, Ferréol Salomon, Pierre Carbonel, Hatem Djerbi, Carole Ognard, 2010 - Palaeoenvironmental reconstruction of the ancient harbors of Rome: Claudius and Trajan’s marine harbors on the Tiber delta, Quaternary International 216 (2010) S. 3-13.
  • 14 De Graauw A., http://www.ancientportsantiques.com/a-few-ports/portus/#5.
  • 15 De Graauw A., http://www.ancientportsantiques.com/a-few-ports/portus/#5.
  • 16 Testaguzza 1970 p. 85.

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